Black Dagger Brotherhood
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BeitragThema: Leseprobe   Leseprobe I_icon_minitimeMo Dez 05, 2011 8:55 am

Auf der Bühne des höhlenartigen Jazzclubs unter den Straßen
von Montreal sang eine Sängerin mit purpurroten Lippen
von der Grausamkeit der Liebe. Obwohl ihre laszive Stimme
recht angenehm und der Text von Blut, Schmerz und Lust
tief empfunden war, hörte Nikolai nicht zu. Er fragte sich, ob
sie wusste – ob überhaupt irgendjemand von den Dutzenden
von Menschen, die sich in diesem kleinen Club auf engstem
Raum aneinanderdrängten, sich darüber im Klaren war, dass
sie ihre Atemluft mit Vampiren teilten.
Die beiden jungen Frauen, die auf der Sitzbank in der
dunklen Ecke pinkfarbene Martinis kippten, hatten jedenfalls
nicht die leiseste Ahnung.
Sie saßen zwischen gleich vier Exemplaren dieser Gattung
eingezwängt, eine Gruppe aalglatter junger Männer in Lederklamotten,
die versuchten, bei ihnen zu landen – bislang
ohne viel Erfolg –, und so taten, als hätten sie den jungen
Frauen nicht schon die ganze letzte Viertelstunde gierig auf
die Halsschlagader gestarrt. Obwohl sich die jungen Vampire
offensichtlich schwer ins Zeug legten, um ihre potenziellen
Blutwirtinnen aus dem Club zu locken, kamen sie damit bisher
nicht sonderlich weit.
Niko stieß ein spöttisches Schnauben aus.
Amateure.
Er bezahlte sein Bier, ließ es unberührt an der Bar stehen
und schlenderte auf den Tisch in der Ecke zu. Als er sich
näherte, sah er, wie sich die beiden Frauen mit wackeligen
Beinen von der Sitzbank erhoben. Kichernd stolperten sie
zusammen auf die Toiletten zu und verschwanden in einem
dämmerigen, überfüllten Gang, der aus dem Gastraum hinausführte.
Nikolai ließ sich lässig am Tisch nieder.
„’n Abend, die Damen.“
Die vier Vampire starrten ihn schweigend an, sie erkannten
ihn sofort als Angehörigen ihrer Art. Niko hob eines der
hohen, lippenstiftverschmierten Martinigläser an seine Nase
und schnupperte am Bodensatz des fruchtigen Getränks. Er
zog eine Grimasse und schob den Drink zur Seite.
„Menschen“, knurrte er gedehnt. „Wie kriegen die bloß
diese Scheiße runter?“
Ein wachsames Schweigen senkte sich über den Tisch,
als Nikolais Blick über die vier Stammesvampire glitt, offensichtlich
allesamt kultivierte junge Zivilisten. Der größte der
vier räusperte sich und sah Niko an. Ohne Zweifel hatte sein
Bauchgefühl ihm signalisiert, dass Niko nicht von hier war –
und dass er alles andere als zivilisiert war.
Der Junge wollte sich cool geben und zeigte mit seinem
Unterlippenbärtchen in Richtung Toilette. „Wir haben sie
zuerst gesehen“, murmelte er. „Die Frauen. Wir haben sie zuerst
gesehen.“ Wieder räusperte er sich, als wartete er darauf,
dass seine drei Kumpane ihm Rückendeckung gaben. Keiner
tat es. „Wir waren zuerst da, Mann. Wenn die Mädels wieder
an den Tisch zurückkommen, gehen sie mit uns.“
Niko lachte leise über den kläglichen Versuch des jungen
Mannes, sein Revier abzustecken. „Denkst du wirklich, ihr
wärt mir gewachsen, wenn ich vorhätte, euch die Mädels
auszuspannen? Nur die Ruhe, daran habe ich kein Interesse.
Ich bin auf Informationen aus.“
Dieselbe Tour hatte er in dieser Nacht schon zweimal
durchgespielt, in anderen Clubs, die dafür bekannt waren,
dass sich dort Stammesvampire auf der Jagd nach Blut trafen.
Nikolai war auf der Suche nach jemandem, der ihm einen
Tipp geben konnte, wo sich ein Stammesältester, ein Vampir
namens Sergej Jakut, aufhielt.
Es war nicht einfach, jemanden zu finden, der nicht gefunden
werden wollte, und besonders jemanden, der so geheimnisvoll
und unstet war wie Jakut. Er war hier in Montreal, da
war Nikolai sich sicher. Erst vor einigen Wochen war es ihm
endlich gelungen, den öffentlichkeitsscheuen Vampir ans
Telefon zu kriegen, um ihn über die Gefahr zu informieren,
in der die mächtigsten, seltensten Mitglieder des Stammes
schwebten – die etwa zwanzig Stammesvampire der Ersten
Generation, die noch lebten.
Jemand verübte gezielte Mordanschläge auf Gen Eins-
Vampire. In den letzten Monaten waren schon einige von
ihnen ermordet worden, und Niko und seine Waffenbrüder
in Boston – ein kleiner Kader bestens ausgebildeter, tödlicher
Krieger, der als der Orden bekannt war – hatten es sich zu
ihrer wichtigsten Aufgabe gemacht, die ungreifbaren Mörder
der Gen Eins aufzuspüren und auszuschalten. Darum hatte
der Orden beschlossen, alle verbliebenen Gen Eins zu kontaktieren
und zur Zusammenarbeit anzuwerben.
Sergej Jakut war alles andere als begeistert gewesen. Er
fürchtete niemanden und hatte seine eigenen Leute, die ihn
beschützten. Die Einladung des Ordens, auf eine Krisensitzung
nach Boston zu kommen, hatte er abgelehnt. Deshalb
war Nikolai nach Montreal beordert worden, um ihn zu
überzeugen. Wenn Jakut erst einmal das ganze Ausmaß der
Gefahr erkannt hatte, in der sich der Orden und alle Stammesvampire
gegenwärtig befanden, würde sich der Gen Eins
schon zu ihnen gesellen, da war sich Nikolai sicher.
Aber zuerst musste er diesen gerissenen Hundesohn überhaupt
finden.
Bislang hatten seine Erkundigungen in der Stadt nichts
gebracht. Geduld war nicht gerade seine Stärke, aber er hatte
ja noch die ganze Nacht vor sich und würde weitersuchen.
Früher oder später würde ihm jemand die Antwort geben,
auf die er wartete. Und auch wenn nicht – wenn er genug
herumgefragt hatte, würde Sergej Jakut sich vielleicht selbst
bei ihm melden.
„Ich suche jemanden“, sagte Nikolai zu den vier jungen
Vampiren. „Einen Vampir aus Russland. Sibirien, um genau
zu sein.“
„Daher kommst du also?“, fragte der mit dem Unterlippenbärtchen,
offenbar der Sprecher der Gruppe. Ihm war wohl
Nikolais leichter Akzent aufgefallen, der sich auch in all den
langen Jahren, die er schon beim Orden in den Staaten lebte,
noch nicht abgeschliffen hatte.
Nikos gletscherblaue Augen verrieten seine Herkunft nur
allzu deutlich. „Kennst du diese Person?“
„Nein, Mann. Kenn ich nicht.“
Auch zwei der anderen schüttelten augenblicklich verneinend
den Kopf, aber der vierte junge Mann, der sich mit
missmutigem Gesicht tief in die Sitznische gelümmelt hatte,
warf Nikolai über den Tisch einen beunruhigten Blick zu.
Niko fixierte ihn. „Und du? Irgendeine Ahnung, von wem
ich rede?“
Zuerst dachte er, der Vampir würde nicht antworten. Er
sah ihn schweigend und mit verschleiertem Blick an, doch
dann, endlich, zuckte der Junge mit den Schultern und stieß
einen Fluch aus.
„Sergej Jakut“, murmelte er.
Der Name war kaum zu hören, aber Nikolai hörte ihn.
Und am Rand seines Blickfeldes bemerkte er, dass auch eine
Frau mit ebenholzfarbenem Haar, die in der Nähe an der Bar
saß, ihn gehört hatte. Er sah es daran, wie sich unter ihrem
langärmeligen
schwarzen Oberteil plötzlich ihr Rücken anspannte
und wie ihr Kopf herumfuhr, als besäße allein dieser
Name die Macht, ihn zu bewegen.
„Du kennst ihn?“, fragte Nikolai den Stammesvampir, wobei
er die Frau an der Bar nicht aus den Augen ließ.
„Nicht persönlich, ich weiß nur, dass es ihn gibt. Er lebt
nicht in den Dunklen Häfen“, sagte der Junge. Die Dunklen
Häfen, das waren die gesicherten Vampirreservate, in denen
der Großteil der Zivilbevölkerung des Vampirvolks in Nordamerika
und Europa lebte. „Das ist ein ganz übler Typ, was
man so hört.“
Kann man wohl sagen, gab Nikolai stumm zu. „Irgendeine
Idee, wo ich ihn finden kann?“
„Nein.“
„Bist du dir sicher?“, fragte Niko und beobachtete, wie die
Frau an der Bar von ihrem Hocker glitt und sich anschickte
zu gehen. Ihr Cocktailglas war immer noch mehr als halb
voll, aber auf die bloße Erwähnung von Jakut hin schien sie
es plötzlich sehr eilig zu haben, den Club zu verlassen.
Der junge Vampir schüttelte den Kopf. „Keine Ahnung, wo
der Typ zu finden ist.“
Nikolai warf einen Blick über die Schulter und sah, dass
die groß gewachsene Schwarzhaarige sich einen Weg nach
draußen durch die Menschentrauben an der Bar bahnte. Da
drehte sie sich plötzlich um, ihre jadegrünen Augen unter den
dunklen Wimpern und dem glänzenden, kinnlangen Haar
waren durchdringend. Nikolai bemerkte eine Spur von Angst
in ihnen, als sie ihn anblickte, nackte Angst, die sie nicht einmal
zu verbergen versuchte.
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BeitragThema: Re: Leseprobe   Leseprobe I_icon_minitimeMo Dez 05, 2011 8:58 am

Fortsetzung:

„Ich fass es nicht“, murmelte Niko.
Sie wusste etwas über Sergej Jakut.
Und anscheinend sogar eine ganze Menge. Dieser entsetzte,
panische Blick, als sie sich umdrehte und die Flucht
ergriff, sagte alles.
Nikolai ging ihr nach. Er schlängelte sich durch das Menschengetümmel
im Club, die Augen auf das seidige, schwarze
Haar seiner Beute gerichtet. Die junge Frau war schnell, so
flink und wendig wie eine Gazelle, und mit ihren dunklen Kleidern
und Haaren verschmolz sie praktisch mit der Umgebung.
Aber Niko war ein Stammesvampir, und es gab keinen
Menschen, der einem Angehörigen seiner Spezies davonlaufen
konnte. Sie schlüpfte rasch durch die Tür des Clubs und
eilte dann hinaus auf die Straße. Nikolai folgte ihr. Sie musste
gespürt haben, dass er ihr hart auf den Fersen war, denn sie
sah sich hektisch um, um ihren Vorsprung einzuschätzen,
und die hellgrünen Augen erfassten ihn wie Laserstrahlen.
Jetzt lief sie schneller, bog um die nächste Hausecke in
eine Seitenstraße ein. Keine zwei Sekunden später war auch
Niko dort. Er grinste, als er sie nur wenige Meter vor ihm
erblickte. Die Gasse zwischen zwei hohen Backsteingebäuden,
in die sie hineingerannt war, war eng und dunkel – eine
Sackgasse, der Weg abgeschnitten durch einen verbeulten
Müllcontainer aus Metall und einen über drei Meter hohen
Maschendrahtzaun.
Die junge Frau wirbelte auf ihren überhohen Stiefelabsätzen
herum. Sie keuchte heftig, hatte die Augen fest auf ihn
gerichtet und beobachtete jede seiner Bewegungen.
Nikolai ging ein paar Schritte in die düstere Seitengasse hinein,
dann blieb er stehen, die Hände begütigend ausgebreitet.
„Es ist okay“, sagte er zu ihr. „Kein Grund wegzurennen.
Ich will nur mit Ihnen reden.“
Sie starrte ihn stumm an.
„Ich will Sie nach Sergej Jakut fragen.“
Es war deutlich zu sehen, wie sie schluckte, ihr glatter
weißer Hals dehnte sich.
„Sie kennen ihn doch, nicht wahr?“
Ihr Mundwinkel zuckte, fast unmerklich, aber genug, um
ihm zu sagen, dass er richtig lag – sie kannte den öffentlichkeitsscheuen
Gen Eins. Ob sie Niko zu ihm führen konnte,
war eine andere Frage, aber in diesem Moment war sie seine
beste, möglicherweise seine einzige Spur.
„Sagen Sie mir, wo er ist. Ich muss ihn finden.“
Ihre Hände ballten sich zu Fäusten. Ihre Füße standen
leicht auseinander, als wäre sie kurz davor loszurennen. Niko
sah, wie sie fast unmerklich einen Blick auf eine verbeulte
Tür zu ihrer Linken warf.
Sie machte einen Satz auf die Tür zu.
Niko zischte einen Fluch und flog ihr nach, mit aller Geschwindigkeit,
die ihm zu Gebote stand. Bis sie die Tür in
ihren quietschenden Angeln aufgestoßen hatte, stand Niko
vor ihr auf der Schwelle und verstellte ihr den Weg in die
Dunkelheit auf der anderen Seite. Er lachte leise darüber,
wie einfach es war.
„Ich sagte doch, kein Grund wegzulaufen“, wiederholte er
und zuckte leicht mit den Schultern, als sie vor ihm zurückwich.
Er ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen und folgte
ihrem langsamen Rückzug tiefer in die Gasse.
Himmel, sie war atemberaubend. Im Club hatte er nur
einen Blick auf sie erhascht, aber jetzt, da er so nah vor ihr
stand, erkannte er, dass sie absolut umwerfend war. Groß
und gertenschlank unter ihrer hautengen schwarzen Kleidung,
mit makelloser milchweißer Haut und strahlenden
mandelförmigen Augen. Ihr herzförmiges Gesicht war eine
hypnotisierende Kombination von Stärke und Zartheit, ihre
Schönheit strahlend und düster zugleich. Nikolai war sich
bewusst, dass er sie anstarrte, aber verdammt noch mal, er
konnte nichts dagegen tun.
„Reden Sie mit mir“, sagte er. „Sagen Sie mir Ihren Namen.“
Mit einer unbefangenen, harmlosen Bewegung streckte er
die Hand nach ihr aus. Er spürte den Adrenalinstoß, der in
ihr Blut schoss – roch seinen scharfen, zitrusartigen Duft in
der Luft –, aber den perfekten Roundhouse-Kick sah er nicht
kommen, bis ihr spitzer Stiefelabsatz ihn voll in die Brust traf.
Verdammt.
Er schwankte, eher überrascht als aus dem Gleichgewicht
gebracht.
Diese kurze Atempause war alles, was sie brauchte. Wieder
machte die junge Frau einen Satz auf die Tür zu, und
dieses Mal gelang es ihr, in dem dunklen Gebäude zu verschwinden,
bevor Niko herumwirbeln und sie zurückhalten
konnte. Er jagte ihr nach, polterte hinter ihr ins Haus.
Das Gebäude war leer, nur ein weitläufiger nackter Betonboden
lag unter seinen Füßen, unverputzte Ziegelmauern
und freiliegende Eisenträger umgaben ihn. Eine ungute Vorahnung
prickelte ihm im Nacken, als er tiefer in die Dunkelheit
rannte, aber der Großteil seiner Aufmerksamkeit galt
der jungen Frau, die in der Mitte der leeren Halle stand. Sie
starrte ihn drohend an, als er sich ihr näherte, jeder Muskel
ihres schlanken Körpers angespannt und bereit zum Angriff.
Nikolai hielt diesem stechenden Blick stand, bis er vor ihr
stehen blieb. „Ich werde Ihnen nicht wehtun.“
„Ich weiß.“ Sie lächelte, kräuselte nur andeutungsweise die
Lippen. „Die Gelegenheit bekommst du gar nicht.“
Ihre Stimme war samtig, aber das Glitzern in ihren Augen
nahm einen kalten Ausdruck an. Ohne Vorwarnung spürte
Niko plötzlich ein betäubendes Druckgefühl in seinem Kopf.
Ein Hochfrequenzton schrillte in seinen Ohren und schwoll
zu unerträglicher Lautstärke an, wurde dann sogar noch lauter.
Nikolai spürte, wie die Beine unter ihm nachgaben. Er
brach in die Knie, alles verschwamm ihm vor den Augen, und
sein Kopf fühlte sich an wie kurz vor dem Platzen.
Entfernt registrierte er das Geräusch von gestiefelten Füßen,
die auf ihn zukamen – mehrere Paare, die zu Männern
beträchtlicher Größe gehörten, allesamt Vampire. Gedämpfte
Stimmen summten über ihm, während er unter dem plötzlichen
lähmenden Angriff auf seine Sinne stöhnte.
Es war eine Falle.
Die Schlampe hatte ihn absichtlich hergeführt, weil sie
gewusst hatte, dass er ihr folgen würde.
„Das reicht, Renata“, sagte einer der Vampire, der den
Raum betreten hatte. „Du kannst ihn jetzt loslassen.“
Auf diesen Befehl ließ der Schmerz in Nikolais Kopf etwas
nach. Er sah auf, direkt in das schöne Gesicht seiner Angreiferin,
die auf ihn herunterstarrte. Er lag zu ihren Füßen.
„Nehmt ihm die Waffen ab“, sagte sie zu ihren Gefährten.
„Wir müssen ihn hier raushaben, bevor seine Kräfte wiederkehren.“
Nikolai stotterte ein paar saftige Flüche in ihre Richtung,
aber seine Kehle war wie zugeschnürt, und da ging sie auch
schon fort, ihre hohen Absätze klapperten über den kalten
Betonboden davon.
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